Gemeinsame Presseerklärung des Fachverband Ethik, Landesverband Berlin und des Fachverband Philosophie e.V., Landesverband Berlin

Wer – um Gottes Willen – will diesen Wahlpflichtbereich?

Was hat die SPD sich bloß dabei gedacht? Oder besser: welchen Kuhhandel hat sie betrieben, als sie der CDU in den Koalitionsverhandlungen anbot, das Fach Religion als staatliches Schulfach an die Oberschulen zu holen?

Wörtlich heißt es im Entwurf des Koalitionsvertrags: „Die Koalition strebt die Einführung eines Wahlpflichtfachs Weltanschauungen/Religionen als ordentliches Lehrfach an. In einem von fachlich ausgebildeten Lehrkräften erbrachten und von den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften inhaltlich gestalteten Unterricht können Kenntnisse über Religionen und Weltanschauungen vermittelt werden.“ ( S.42)

Konkret bedeutet das für die Schulen: Sie müssen einen neuen Wahlpflichtbereich bilden, für den es nicht nur so gut wie keine Lehrkräfte gibt (vgl. TSP vom 11.4.23) – es fehlt auch an Fächern, die zur Wahl stünden. Der Plural in „Religionen“ ist Augenwischerei, denn allein für den christlichen Religionsunterricht stünden überhaupt Lehrkräfte, wenn auch zu wenige, zur Verfügung – staatlich ausgebildete Lehrkräfte für den Islam, den Buddhismus usw. derzeit nicht. Und was ist mit „Weltanschauungen“ gemeint? Bekannt in Berlin ist der Humanistische Verband, der bereits Lebenskunde an den Grundschulen erteilt. Aber darüber hinaus?

Für die Ethiklehrkräfte und für alle, die sich für das säkulare Fach Ethik eingesetzt haben, klingen diese Worte wie eine Kampfansage. Das Fach Ethik wurde in den 17 Jahren seiner Existenz als Pflichtfach für alle Schüler*innen im Rahmen einer breiten öffentlichen Debatte auf- und ausgebaut, zuletzt durch die Forderung nach mehr politischer Bildung auch – zumindest teilweise – wieder abgebaut. Bemerkenswert erscheint uns dabei: all das geschah aufgrund einer breit angelegten Diskussion unter Einbeziehung der interessierten Berliner Öffentlichkeit. Die Kirchen kämpften für eine Wahlmöglichkeit der Schüler*innen zwischen Ethik und Religion, aber die Mehrheit der Berliner*innen votierte in einem Volksentscheid für die säkulare und gemeinsame Wertebildung auf Grundlage der Menschenrechte im Klassenraum, mit anderen Worten: für das Pflichtfach „Ethik“. Religionsunterricht garantiert das Schulgesetz weiterhin, zwei günstig gelegene Unterrichtsstunden muss jeder Stundenplan zwischen 7. Und 10. Klasse einplanen. Erteilt wird er, wie es das Berliner Schulgesetz von 1948 vorsieht, dem vom Grundgesetz der Vorrang eingeräumt wird (sog. „Bremer Klausel“, § 141 GG), durch die Religionsgemeinschaften. Ob die Stunden genutzt werden, bestimmt das Interesse der Schüler*innen.

Damit soll nun Schluss sein. Aber warum nur? Wer fordert unter Schüler*innen, Eltern, Schulleiter*innen oder Lehrer*innen eine Veränderung? Die Anzahl der Wochenstunden erhöhen will niemand. Forderungen nach mehr Wirtschaft, mehr IT, auch mehr Nachhaltigkeit sind hörbar. Aber mehr Religion? Und diese als ordentliches Lehrfach? Das ist nicht nur nicht gesetzeskonform – es wird auch im schulischen Kontext nicht gefordert. Uns jedenfalls ist nichts davon zu Ohren gekommen.
Hinter verschlossenen Türen allerdings muss der Partei, die das C in ihrem Namen trägt und die damals vor dem Volksentscheid von 2009 die Initiative „PRO RELI“ unterstützte, wieder eingefallen sein, dass sie den Kirchen etwas schuldet. Und dass die SPD, was das Fach Ethik betrifft, damals doch eher gespalten war. Der Moment schien gekommen, Verlorenes zurückzufordern. Und die SPD willigte ein – im Tausch wogegen ist bisher nicht bekannt.

„Das Fach Ethik bleibt in seiner bisherigen Form bestehen“, heißt es weiter im Koalitionsvertrag. Man will ja keine schlafenden Hunde wecken. Das Kalkül dahinter könnte sein: Neben Ethik wird dieser neue „Wahlpflichtbereich“ seitens der Schulen kurzerhand als undurchführbar gelten. Die senatsseitige Antwort wird lauten, dann stehe Religion eben „leider“ doch zu „Ethik“ in Konkurrenz. Kurzum: es geht um ein „Bauernopfer“.

Es ist ein Schritt rückwärts und ein Schritt an den Bedarfen der Berliner Stadtgesellschaft vorbei. Wer Toleranz und Verständigung unter unseren Schüler*innen wirklich fördern will, sollte besser das Stundenkontingent in dem dafür bereits zuständigen Lernbereich Gesellschaftswissenschaften erhöhen – sprich auch im Fach Ethik.

Die Vorstände der Landesverbände der Fachverbände Ethik und Philosophie
Alexander Krüger, Sebastian Vaupel, Margret Iversen (FV Ethik Berlin, alexandermariakrueger@web.de, fachverband_ethik_iversen@t-online.de) / Stefanie Thiele, Henning Franzen, Sophia Gerber (FV Philosophie, berlin@fv-philosophie.de)

1 Kommentar
  1. Gisela Raupach-Strey
    Gisela Raupach-Strey sagte:

    Liebe Vorstandsmitglieder beider Fachverbände!
    Gut, daß Sie/Ihr die Stimme erhoben habt, dazu (zu meiner Freude) auch
    gemeinsam!

    Der Vorschlag im Koalitionsvertrag scheint mir sehr unausgegoren.
    Sollen die Schüler/innen zwischen verschiedenen Religionen oder
    Weltanschauungen wählen, auch wenn sie sich vielleicht noch gar nicht
    eindeutig zuordnen wollen? Wie sollen sie sich dann untereinander
    kennenlernen? Und wer keiner religiösen oder nicht-religiösen
    Weltanschauung angehört, hat der /die eine Freistunde?

    Ich befürchte, wir werden wie vor 30 Jahren mal wieder vom Nullpunkt an
    erklären müssen, daß im Rahmenplan für das Fach Ethik religionskundliche
    Elemente enthalten sind, die das Kennenlernen ermöglichen und ein Forum
    bieten, verschiedene Antworten zu den menschlichen Grundfragen
    miteinander zu diskutieren – daß also der Ethik-Unterricht keine, auch
    keine atheistische, agnostische oder säkulare Weltanschauung zu
    vermitteln hat, sondern philosophisch basiert ist und einen
    Bildungsauftrag für alle hat.

    Und wenn Religionsunterricht an Schulen stattfindet, dann darf dieser
    auch nicht auf ein Bekentnis abzielen, sondern hat ebenfalls am Lernort
    Schule „nur“ einen Bildungsauftrag. In der Religionspädagogik und deren
    universitärer Ausbildung ist diese Auffassung heutzutage auch Konsens,
    nachdem die Konzeptionen nach 1945 verschiedene Phasen durchlaufen
    haben. Welche Erwartung haben auf dem Hintergrund heutige Politiker, die
    solch ein „Wahlpflichtfach“ fordern? Welche Funktion ordnen sie den
    Religionen zu? Unkritische Gefolgschaft? Auch „Werte“ (woran vielleicht
    im Hinterkopf gedacht wird) lassen sich nicht einfach „vermitteln“,
    sondern müssen durch Selbst-Entdecken und kritisches Nachdenken hindurch
    wachsen.

    Ich habe den Eindruck, daß sich die Koalitionäre mit niemandem aus dem
    Bildungssektor besprochen haben, der/die einerseits die heutigen
    didaktischen Konzepte kennt und andererseits auch die Berliner
    Vorgeschichte – anders kann ich mir solche einen undurchdachten
    Vorschlag nicht erklären.
    Und schließlich: Wo sollen die Unterrichtsstunden herkommen? Falls diese
    fragwürdige Idee weiter verfolgt werden sollte, ist meine Befürchtung
    groß, daß die Stunden für den Ethik-Unterricht im Endeffekt noch weiter
    gekürzt werden sollen – anstatt sie umgekehrt wieder zu normalisieren,
    die letzte de facto-Kürzung rückgängig zu machen. Hier müssen die
    Fachverbände sehr wachsam sein.

    Freundliche Grüße
    Gisela Raupach-Strey

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